IoT-Plattformen: Make or buy?

In einer vernetzten Welt gewinnt ein zentrales Element zunehmend an Bedeutung: die Plattform, auf der die Dienstleistung betrieben wird.

 

von Jan Rodig

Viele Industrieunternehmen arbeiten mit Hochdruck daran, ihre Produkte zu vernetzen, um ergänzende digitale Services anzubieten und sich neue Erlösquellen zu erschließen. Eine der zentralen Entscheidungen in diesem Zusammenhang: Nutzt man als Basis für die eigene IoT- beziehungsweise Industrie-4.0-Lösung eine der über 500 am Markt verfügbaren IoT-Plattformen oder entwickelt man eine solche Plattform besser selbst?

 

Jan Rodig, CEO des unabhängigen IoT-Dienstleisters tresmo, teilt seine Praxiserfahrungen aus über 35 IoT-Projekten.

Der aktuelle Wirtschaftsaufschwung dauert bereits neun Jahre an, viele Unternehmen arbeiten an der Kapazitätsgrenze. Da fällt es oft nicht leicht, die gewaltigen Herausforderungen der Digitalisierung anzugehen, die mit dem IoT („Internet of Things“) beziehungsweise der Industrie 4.0 nun auch das produzierende Gewerbe in seinen Grundfesten erschüttert. Diese Entwicklung macht selbst vor stolzen Vorzeigebranchen wie der Automobilindustrie nicht halt: Fast alle Hersteller bauen sich gegenwärtig intensiv zu Mobilitätsdienstleistern um, die zukünftig selbstfahrende und -fliegende autonome Taxiflotten betreiben, statt Autos zu verkaufen. Auch im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Elektroindustrie sind Veränderungen spürbar: Physische Produkte werden zunehmend kommoditisiert, IoT-Anwendungen wie Condition Monitoring und Predictive Maintenance zum Standard, Differenzierungs- und Monetarisierungsmöglichkeiten verschieben sich von der reinen Hardware zu Softwarelösungen.

 

Grafik 1: Eine typische IoT-Plattformarchitektur berücksichtigt bereits die Anbindung und Vernetzung der verschiedenen Endgeräte. Dies können bspw. Maschinen, Produkte oder mobile Endgeräte der Nutzer sein. (bitte zur Vergrößerung klicken)
Grafik 1: Eine typische IoT-Plattformarchitektur berücksichtigt bereits die Anbindung und Vernetzung der verschiedenen Endgeräte. Dies können bspw. Maschinen, Produkte oder mobile Endgeräte der Nutzer sein. (bitte zur Vergrößerung klicken)

 

Die Bausteine einer IoT-Lösung

Fast alle Hersteller arbeiten daher gegenwärtig an IoT- beziehungsweise Industrie-4.0-Angeboten. Sobald die Kundenbedürfnisse analysiert und die funktionalen und nicht funktionalen Anforderungen definiert sind sowie das Geschäftsmodell geklärt, geht es an die technische Konzeption und Implementierung. Eine der zentralen Entscheidungen in diesem Zusammenhang: Soll eine (I)IoT-Plattform selbst entwickelt oder eine der über 500 am Markt verfügbaren Plattformen als Basis für das eigene Angebot genutzt werden?

 

Grafik 2: Die in Grafik 1 gezeigte typische IoT-Plattform vereint in der Regel neben dem Datenmanagement auch Schnittstellen zur Anbindung von z. B. Unternehmensanwendungen. (bitte zur Vergrößerung auf die Grafik klicken)
Grafik 2: Die in Grafik 1 gezeigte typische IoT-Plattform vereint in der Regel neben dem Datenmanagement auch Schnittstellen zur Anbindung von z. B. Unternehmensanwendungen. (bitte zur Vergrößerung auf die Grafik klicken)

 

Die IoT-Plattform ist ein modular aufgebautes Softwareprodukt und das Herzstück einer IoT-Lösung. Sie empfängt die Daten der vernetzten Geräte, stellt diese den Anwendungen bereit und gibt Befehle zurück an die Geräte. Trotz der technologischen Komplexität einer solchen Plattform ist sie aus strategischer Sicht „Commodity“, denn sie stellt im Wesentlichen Basisfunktionen zum Betrieb einer IoT-Lösung zur Verfügung, die für die Differenzierung gegenüber den Nutzern kaum relevant sind. Etwa 70 bis 90 Prozent der für eine IoT-Lösung erforderlichen Funktionalitäten lassen sich in der Regel durch eine IoT-Plattform bereits „von der Stange“ einkaufen, sodass die Entwicklung deutlich einfacher und schneller erfolgen kann.

Man unterscheidet acht wesentliche Gruppen von Funktionalitäten bei IoT-Plattformen:
Edge-Funktionalitäten: Direkt auf den smarten Geräten / Gateways beziehungsweise on premises ausführbare Funktionalitäten, die auch offline zur Verfügung stehen
Konnektivität: Technologien, welche die Kommunikation der „Dinge“ bzw. Sensoren mit der Plattform unterstützen
Device-Management: Funktionalitäten zur Verwaltung und Konfiguration der vernetzten „Dinge“
Daten-Infrastruktur: Datenspeicherung und -verwaltung
App-Enablement: Entwickler-Unterstützung für die Programmierung individueller Anwendungen
Basic-Data-Tools: Standard-Werkzeuge zur Verarbeitung der gesammelten Daten, beispielsweise Notification-Services oder Machine-Learning-Werkzeuge
Integration: Möglichkeiten zur Anbindung der IoT-Plattform an unternehmensinterne Systeme (ERP, MES, CRM, BI etc.) sowie externe Anwendungen
Security & Administration: Verwaltungs-Funktionalitäten und Sicherstellung von Cybersecurity

Anbieter kommerzieller IoT-Plattformen sind unter anderem Industrieunternehmen wie General Electric, Siemens oder Trumpf, Software-Riesen wie Microsoft, Amazon, PTC und SAP, große Telekommunikationskonzerne sowie zahlreiche Start-ups. Sie haben bereits enorme Summen in die Entwicklung ihrer Plattformen investiert, decken zahlreiche Protokolle, Schnittstellen und Systeme ab und haben ein umfassendes Ökosystem um ihre Lösungen geschaffen.

Make or buy?

Für die Nutzung kommerzieller IoT-Plattformen spricht vor allem eine kostengünstigere Entwicklung der eigenen IoT-Lösung und eine deutlich schnellere Time to Market, da man „das Rad nicht neu erfinden“ muss. Erfahrungsgemäß benötigen Unternehmen, die auf solchen IoT-Plattformen aufsetzen („Buy“) mit ca. 18 Monaten durchschnittlich nur halb so lang bis zum Go-live ihrer IoT-Lösung wie Hersteller, die die Plattform selbst entwickeln („Make“). Weiterhin mangelt es den meisten Industrieunternehmen schlicht an den erforderlichen Kompetenzen und Budgets für die Entwicklung und Maintenance einer skalierbaren, sicheren und flexiblen IoT-Plattform.

Die Nachteile der Nutzung kommerzieller IoT-Plattformen sind zumeist hohe laufende Kosten, Bedenken bezüglich Datenhoheit und -sicherheit sowie mögliche langfristige Lock-in-Effekte. Auch die Sorge, einen wesentlichen Teil der Wertschöpfung zu Dritten zu verlagern, spielt bei solchen Entscheidungen oft eine wesentliche Rolle, insbesondere im Mittelstand.

Erfahrungsgemäß entscheiden sich die meisten Industrieunternehmen nach Abwägung der Vor- und Nachteile für die Nutzung einer kommerziellen IoT-Plattform. Ob diese als Private-Cloud-, Public-Cloud- oder Hybrid-Cloud-Lösung betrieben wird, ist neben dem Sicherheitsbedürfnis vor allem auch eine Kostenfrage, da in eigenen Rechenzentren betriebene Lösungen einen deutlich höheren Instandhaltungsaufwand erfordern. Die Schaffung einer eigenen Plattform ziehen hingegen vor allem sehr große Firmen, B2B-Hersteller mit einem breiten Wertschöpfungsfokus sowie Unternehmen in bestimmten Branchen – beispielsweise Industrieautomation – oder mit einer speziellen strategischen Positionierung vor.

 

Grafik 3: Eine IoT-Plattform bietet auch für zukünftige Geschäftsmodelle Investitionssicherheit. Daher muss unbedingt die Unternehmensstrategie bei einer Kauf- oder selbstbetriebenen Plattform berücksichtigt werden. (bitte zur Vergrößerung auf die Grafik klicken)
Grafik 3: Eine IoT-Plattform bietet auch für zukünftige Geschäftsmodelle Investitionssicherheit. Daher muss unbedingt die Unternehmensstrategie bei einer Kauf- oder selbstbetriebenen Plattform berücksichtigt werden. (bitte zur Vergrößerung auf die Grafik klicken)

 

Die eigene IoT-Plattform

Wenn ein Unternehmen eine eigene IoT-Plattform schaffen möchte, stellt sich ebenfalls die Frage nach dem “Make or buy”, um im Technologie-Stack des Cloud Computings die individuelle Wertschöpfungstiefe festzulegen. Dabei gibt es drei generische Ebenen:

  • Infrastructure as a Service (IaaS)
  • Platform as a Service (PaaS)
  • Software as a Service (SaaS)

In aller Regel werden IaaS-Angebote von Amazon, Microsoft oder Google genutzt, um Server für Storage (Datenspeicherung) und Computer (Rechenleistung) in der Cloud zu beziehen. Darüber hinaus nutzen zahlreiche IoT-Plattformen wiederum andere Whitelabel-IoT-Plattformen als PaaS, um darauf ihre eigenen Angebote aufzubauen. Je weiter „oben“ Unternehmen mit der eigenen Lösung beginnen, desto günstiger wird es, aber desto weniger Gestaltungsspielraum und Flexibilität haben sie auch.

Ein entscheidender Erfolgsfaktor bei der Schaffung einer eigenen IoT-Plattform ist in jedem Fall der Aufbau eines leistungsstarken Ökosystems aus App-Angeboten, Systemintegratoren, Big-Data-Spezialisten und ähnlichen Partnern, die den wesentlichen Wert einer solchen Plattform ausmachen.

Die Qual der Wahl

Für die Auswahl und Implementierung einer IoT-Plattform aus den zahlreichen Angeboten am Markt haben sich drei Grundregeln bewährt:

  1. Pragmatische Prototypen: Zu Beginn eines IoT-Projektes sind oft noch zahlreiche wesentliche Fragen ungeklärt, da Erfahrungen mit vernetzten Produkten fehlen und sich die zukünftigen Anforderungen und Kostentreiber noch nicht hinreichend spezifizieren lassen. Erste Prototypen und marktfähige Produkte sollten daher pragmatisch auf einer möglichst flexiblen Plattform aufgesetzt werden, deren Preismodell sozusagen mitwächst und zum geplanten Vorhaben passt.
  2. Systematische Auswahl: Hat man die ersten Schritte im IoT-Markt erfolgreich hinter sich gebracht und auch die mittelfristige Roadmap hinreichend spezifiziert, empfiehlt sich eine sorgfältige Plattformauswahl auf Basis der individuellen Projektanforderungen sowie von etwa 80 allgemeinen Kriterien wie beispielsweise der Qualität des Software-Development-Kit oder der Zertifikate-Aktualisierung von Geräten im Feld.
  3. Abstrahierung: Um eine möglichst große Unabhängigkeit von der gewählten IoT-Plattform zu wahren, empfiehlt sich die Definition eigener Schnittstellen sowie die Nutzung von Container-Technologien, sodass sich die Plattform bei Bedarf einfach austauschen lässt.

 

Bei der objektiven Auswahl einer geeigneten Plattform und Gestaltung einer IT-Architektur ohne Lock-ins empfiehlt sich die Einbeziehung von unabhängigen IoT-Experten wie tresmo, die nicht exklusiv mit nur einem Plattformanbieter zusammenarbeiten und bereits umfangreiche Implementierungserfahrungen mit zahlreichen Plattformen sammeln konnten. //

 

 

Autorenvita Jan Rodig

 

 

 

Der Text ist unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 DE verfügbar.
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