Ein Baustein von Industrie 4.0 sind Assistenzsysteme

Um die Smart Factory Wirklichkeit werden zu lassen, sind digitale Assistenzsysteme für die Fertigung unabdingbar geworden.

von Dipl.- Ing. (FH) Johann Hofmann

Es braucht Erfindungsgeist und Ausdauer, wenn Visionen wahr werden sollen. Die Realisierung der Vision der Hochleistungsfertigung der Zukunft ist dafür ein hervorragendes Beispiel: Das Assistenzsystem Value­Facturing® entstand in langjähriger Detail­arbeit in der firmeneigenen zerspanenden Fertigung der Maschinenfabrik Rheinhausen und realisiert die digitale Transformation auf dem Weg zur digitalen Hochleistungsfertigung ganz im Sinne einer Smart Factory.

Das System vernetzt alle am Fertigungsprozess beteiligten Anlagen, Systeme und Personen. So leitet es beispielsweise Mitarbeiter bei ihrer Arbeit an, ermöglicht smarte Prozesse und befähigt zu besseren Entscheidungen.

 

Bild 2: Das Assistenzsystem ValueFacturing®

 

Dafür werden einzelne Arbeitsgänge aus dem vom ERP-System ausgelösten Fertigungsauftrag direkt vom Assistenzsystem übernommen und bis zur Rückmeldung digital begleitet und gesteuert. Gleichzeitig erfolgt eine Rückmeldung über die verschiedenen Teilschritte aus der Produktion an das ERP-System. Damit wurde die Basis für ein Internet der Dinge in der Fertigung geschaffen. Physische Objekte wie Werkzeuge werden dank Cloud-Lösungen mit einer virtuellen Repräsentation in einer Internet-ähnlichen Struktur abgebildet.

Herzstück des Assistenzsystems ist die bidirektionale Online-Kommunikation in Echtzeit mit allen am Fertigungsprozess beteiligten Akteuren und der Fähigkeit, Informationen intelligent anzureichern. Das Assistenzsystem bietet neue innovative Features, die eine signifikante Rüstzeitenreduzierung und somit höhere Maschinennutzung ermöglichen. Mit ValueFacturing® gewinnen alle Prozessbeteiligten des Shopfloors mehr Transparenz über den aktuellen Stand ihrer Fertigung. Das Assistenzsystem unterstützt sie smart bei der Ausführung ihrer täglichen Aufgaben.

Der größte Vorteil allerdings ist die Fähigkeit der Datenanreicherung. Hierbei werden situationsabhängig neue Daten generiert. Zum Beispiel werden Fahrbefehle für Werkzeugeinstellgeräte beliebiger Hersteller und unterschiedlichster Softwarestände „just in time“ erzeugt. Hierbei werden vom Assistenzsystem von verschiedenen Systemen (A, B und C) vorhandene Daten für einen anfragenden Akteur (D) abgeholt. Durch intelligente Verknüpfung dieser Daten inklusive umfangreicher Berechnungslogik werden im Ergebnis neue, für einen effizienten Workflow erforderliche Daten erzeugt (Bild 3).

Dieser Effekt wird auch im folgenden ZVEI- Positionspapier, das zur Hannover Messe 2017 veröffentlicht wurde, beschrieben:

„Industrie 4.0 und MES – Voraussetzung für das digitale Betriebs- und Produktionsmanagement – Aufgabenstellungen und künftige Anforderungen“

 

Bild 3: Datenanreicherung

A = beliebiges ERP-System
B= beliebige Werkzeugdatenbank
C= beliebiges NC-Archiv
D= beliebiges Werkzeugeinstellsystem

 

Im Kapitel 3.3.5.4 „Dynamisches Ausführungsmanagement“ ist dort die Flexibilisierung betrieblicher Abläufe als wichtiger Bestandteil im digitalen Rüst-Workflow beschrieben. Die Umstellung von althergebrachten starren Abläufen in dynamische Abläufe ist Bestandteil der Digitalisierungsstrategie von Industrie 4.0. Als „starr“ bezeichnet man alle Systeme, deren Abläufe durch Vorbedingungen festgelegt sind. Als „dynamisch“ bezeichnet man alle Systeme, die ihre Vorbedingungen automatisch an eine neue Situation anpassen können.

Das Verfahren der dynamischen Datenanreicherung erfordert umfangreiches Wissen aus der jeweiligen fachspezifischen Domäne. Im Fall der Maschinenfabrik Reinhausen ist das die zerspanende Fertigung. Jahrzehntelang angesammeltes Know-how ist Kernbestandteil der dynamischen Datenanreicherung mit ValueFacturing®. Das erspart z. B. dem Mitarbeiter am Einstellgerät tagtäglich viel Zeit. Noch viel wertvoller ist allerdings der „Poka-Yoke“-Effekt (dt. „unglückliche Fehler vermeiden“), der dadurch ermöglicht wird, dass das fehlerträchtige Eintippen von starren Daten entfällt. Dieses dynamische Erzeugen der Daten ermöglicht auch jederzeit, den anfragenden Akteur (D) im Bild 2 auszutauschen oder durch Updates zu erweitern, denn die benötigten Daten werden immer passend für ihn „just in time“ automatisch neu generiert.

Hintergrund
Die Maschinenfabrik Reinhausen GmbH (MR) ist weltweit führender Anbieter (ca. 50 Prozent Weltmarktanteil) von Laststufenschaltern für die Hochspannungstechnik. Das in Regensburg ansässige und weltweit tätige mittelständische Unternehmen erwirtschaftete im vergangenen Geschäftsjahr mit 3 550 Mitarbeitern und 49 Tochter- und Beteiligungsgesellschaften einen Umsatz von 750 Millionen Euro.

Seit Jahrzehnten zählt für die MR eine große Fertigungstiefe in Deutschland zu den bedeutenden Wettbewerbsvorteilen. Dabei hat sich die MR seit knapp 30 Jahren dem Ziel eines intelligenten Fertigungsflusses verschrieben – mit großem Erfolg. In der firmeneigenen zerspanenden Fertigung wurde in jahrzehntelanger Detailarbeit das Assistenzsystem ValueFacturing® mit richtungsweisenden Funktionen entwickelt.

Der Nutzen dieser Lösung wirkt in den Wertschöpfungsketten im Zentrum der deutschen Produktionsindustrie und ist ein bedeutender Baustein von Industrie 4.0.
Im Jahr 2013 wurde die MR dafür mit dem ersten Industrie-4.0-Award ausgezeichnet und war mit dem Geschäftsbereich Value­Facturing® bereits zweimal Finalist beim Innovationspreis der deutschen Wirtschaft. „Die MR hat bei einer komplexen Ausgangssituation von kleinen Serien, hoher Varianz und heterogenen Maschinen eine hohe horizontale und vertikale Integration mit Zukunftspotenzial erreicht“, begründete die Jury ihre Wahl.

Mit ValueFacturing® können vor allem die wirtschaftliche Fertigung der Losgröße 1, die Beherrschung von beliebiger Varianz und die Verkürzung der Lieferzeit signifikant und nachhaltig verbessert werden.

State of the Art

Modernste Server-, Web- und Cloud-Technologien sichern die Systemverfügbarkeit und gewährleisten gleichzeitig maximale IT-Sicherheit. Durch Einsatz von ValueFacturing® auf Basis der Microsoft Azure Cloud lässt sich ein Rollout auf weitere Unternehmensstandorte weltweit bequem realisieren. Der Einsatz von ValueFacturing® in Verbindung mit Smart Devices ermöglicht Management und Mitarbeitern den Live-Blick in die Fertigung – und das weltweit. Das Internet of Things (IoT) wird so erlebbar. Die Benutzerverwaltung von ValueFacturing® ist mit einem umfangreichen Rechtesystem versehen und lässt eine gezielte Steuerung der zulässigen Aktivitäten je Mitarbeiter zu und erhöht so die Sicherheit. Umfangreiche Health-Checks zur effizienten Überprüfung des Systemzustandes in Realtime vereinfachen die Administration.

Data Mining mit ValueFacturing macht Big Data zu Smart Data

Das Sammeln von Echtzeit-Daten ermöglicht kennzahlenorientiertes Managen im Shopfloor. Um aus den tagesaktuellen Shop­floor-Daten Verbesserungen ableiten zu können, wird das Analytics-Portfolio von Value­Facturing® stetig ergänzt. Das Herausfiltern einzelner wichtiger Informationen aus diesen großen Datenmengen wird als „Data Mining“ oder Mustererkennung bezeichnet. Dazu werden Massendaten (Big Data) mit Datenanalyse- und Entdeckungsalgorithmen durchsucht mit dem Ziel, neue Muster, Querverbindungen und Trends zu erkennen.

Z.B. die Berechnung des Stückzählers durch ValueFacturing® erfordert Mustererkennungsmethoden und ist ein Meilenstein in der Maschinendatenerfassung (MDE). Dadurch werden die Rohdaten zu Smart Data, die neuen Erkenntnisgewinn bringen. Um Fehlinterpretationen weitestgehend zu vermeiden, müssen die Entdeckungsalgorithmen Ausreißer und manipulierte Daten erkennen und aus der Bewertung entfernen.
Schritt für Schritt werden so die „Enabler“ von Industrie 4.0 aus Bild 1 Realität. //

 

 

 

Autorenvita: Dipl.- Ing. (FH) Johann Hofmann

 

 

 

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