In einer Stadt treffen die Ansprüche unterschiedlichster Interessengruppen zusammen. Das kann nur mit einem Höchstmaß an Vernetzung funktionieren.

 

von Jean Haeffs

Städte haben eine wichtige ökonomische Bedeutung als zentrale Orte der Wertschöpfung. Sie sind ein kreativer Raum für gesellschaftliche, wirtschaftliche, ökologische sowie politische Innovationen und bieten sowohl Lebensraum als auch Arbeitsplätze. Knapp drei Viertel der Deutschen wohnen in urbanen Ballungsräumen. Tendenz steigend. Bürger wünschen sich für ihre Stadt der Zukunft verlässliche Verkehrssysteme, bezahlbaren Wohnraum sowie eine funktionierende öffentliche Versorgung mit Strom, Gas, Breitband und Wasser.

Diese Ansprüche treffen auf Herausforderungen, die sich aus Klimawandel, Migrationsströmen und demografischen Veränderungen ergeben. Städte stehen also vor einer einschneidenden Transformation. Die voranschreitende Digitalisierung beeinflusst dabei ihren Strukturwandel in besonderem Maße. Damit einhergehende Auswirkungen auf die Stadtökonomie sind bereits heute spürbar und lassen weitere Veränderungen erahnen.

„Stadt der Zukunft“, „Morgenstadt“, „Smart City“ – die Konzepte für die Zukunft unserer Städte haben viele Namen. Fast allen gemeinsam ist: Neben den Klassikern Infrastrukturentwicklung, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Werk- und Wertstoffmanagement sind darin die urbane Produktion und Logistik immer wieder explizit genannte Elemente einer nachhaltigen Strategie zur künftigen Stadtentwicklung.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele Stadträume jedoch reduziert auf monofunktionales Wohnen, Konsum und Unterhaltung. Gefordert ist jetzt ein entschiedener Abschied von dieser „Entweder-oder-Welt“ der Nachkriegsmoderne. Stattdessen müssen wir uns auf die schwierigen Herausforderungen der komplexen „Sowohl-als-auch-Wirklichkeiten“ unserer Städte einlassen und sie in ihrer Diversität stärken.

 

„Es ist unbedingt notwendig, den Einwohnern einer Stadt genau zuzuhören. Schließlich sind sie es, die den Logistikern einen Anlass zum Transport geben. Für einen integrierten Verkehrsansatz stehen alle Einwohner in der Pflicht.“

Digitale Transformation als Treiber urbaner Industrie

Ein breites Spektrum an innovativen Technologien und revolutionären Werkstoffen eröffnet völlig neue Möglichkeiten für urbane Produktion, beispielsweise zur Herstellung individueller und lokaler Produkte, die trotz kleinster Stückzahlen und Serien wirtschaftlich zu vermarkten sind. So sind heute Technologien wie mobiles Internet, Cloud-Anwendungen, 3-D-Druck, multifunktionale Maschinen oder interaktive Fertigungsroboter in vielen Branchen längst Standard.

Werden die Maschinen direkt mit dem Internet und untereinander verbunden, lassen sich wesentlich effizientere Wertschöpfungsketten designen. So können Produkte in Kleinstserien oder gar als Einzelstücke kostengünstig hergestellt – in enormer Geschwindigkeit, individuell „on demand“ – und noch am selben Tag geliefert werden. Die Digitalisierung ist daher ein starker Treiber der urbanen Fertigung, da sie dadurch kleinteiliger, dezentral und damit stadtverträglich wird.

Die vernetzte Welt ermöglicht völlig neue Geschäftsmodelle und gibt längst ausgestorben geglaubten eine zweite Chance. Beispielsweise die Mini-Manufaktur, für die es sich wieder lohnt, im Hinterhof Brillen in Einzelfertigung herzustellen, weil die Digitalisierung eine kostengünstige Personalisierung von Produkten und einen effizienten Vertrieb über den Onlinehandel möglich macht.

Effizienz und Stadtverträglichkeit produzierender Unternehmen werden zudem durch neue umweltschonende und emissionsarme Fertigungstechnologien verbessert. Darüber hinaus werden Effizienzsteigerungen insbesondere für KMU durch eine kooperative Durchführung der produktionsunterstützenden Prozesse, wie der Versorgung der Produktion, der Entsorgung und der Distribution, nutzbar, wenn Unternehmen sich räumlich agglomerieren, gemeinsam Infrastrukturen nutzen und miteinander Transport-, Lager- und Umschlagsprozesse betreiben. Die Digitalisierung verändert keineswegs nur die Fertigungsprozesse. Ebenso positiv beeinflusst werden „Just-in-time“-Zulieferungen als Teil der Logistik- und Warenströme sowie „Next-Day-Delivery“- oder „Same-Day-Delivery“-Vertriebswege, die extrem schnelle und effiziente Logistik in der Stadt schaffen.

Konzepte zur Verkehrsinfrastruktur

Die Überlastung des Straßennetzes und die von Wirtschaftsseite bemängelte unzureichende Instandhaltung der Verkehrsinfrastruktur führen immer wieder zu Engpässen und hoher Stauanfälligkeit in Innenstädten und Zugangswegen. Die Zunahme des Pendleraufkommens und des Lkw-Gütertransports verstärkt die Verkehrslast im urbanen Raum und damit auch Lärm- und Abgasemissionen.

Jede Smart City braucht daher einen gehörigen Anteil smarter Logistik. Moderne Stadtkonzepte kommen ohne intelligente Lösungen für den Warenverkehr nicht aus. In einer Zeit, in der Ballungsräume wachsen, der Verkehr zunimmt und das mobile Internet alle Lebensbereiche verknüpft, benötigen auch urbane Lieferprozesse neue, kreative Ansätze.

Jeder von uns braucht die Logistik. Rückt sie einem jedoch zu nah auf den Pelz, dann beginnt sie auch zu stören. Bürger erwarten von smarter Logistik weniger Lärm, weniger Luftverschmutzung, weniger Stau und weniger Platzbedarf für Gütertransporte bei gleichbleibend guter Versorgung. Für den Logistiksektor hingegen muss sich das Transportgeschäft weiterhin lohnen. Vor diesem Hintergrund müssen beide Interessengruppen zusammenarbeiten.

 

Die Stadt der Zukunft sollte als Ökosystem verstanden werden. Das wiederum ist nur mit einem höchstmöglichen Grad an Vernetzung zu erreichen. Quelle: VDI

 

 

Den Herausforderungen kann nicht alleine durch eine leistungsfähige Infrastruktur begegnet werden – diese ist nur die notwendige Voraussetzung. Es sind vielmehr stadtverträgliche, ressourcen- und infrastrukturschonende Logistikkonzepte erforderlich, um Mobilität und wirtschaftliche Dynamik zu sichern. Eines der Zukunftsfelder für den Lieferverkehr liegt im Bereich der autonomen Logistiksysteme. Autonome Lieferfahrzeuge, auch in Form von Drohnen, sollen in Zukunft den innerstädtischen Lieferverkehr entlasten. Ein anderer Bereich ist der Lieferverkehr der sogenannten „Letzten Meile“ im Quartier. Dieser kann über innerstädtische Mikro-Logistik-Zentren oder dezentrale Verteillager neu geregelt werden. Dafür sind entsprechende Mikro-Flächen an geeigneten Standorten in den Quartieren notwendig.

Um einen weitreichenderen Effekt zu erzielen, der auch klimarelevante Folgen hat, ist beispielsweise der Einsatz von Elektro-Kleinmobilen und Lastenfahrrädern für die Endkundenauslieferung sinnvoll. Weitere positive Effekte werden durch den Zusammenschluss von Gewerbetreibenden im Quartier oder in Industriegebieten erwartet. Sammelbestellungen, Sharing von Mobilitätsangeboten oder Distributionslogistik im direkten Umfeld bieten Möglichkeiten zur Reduktion von Verkehr und erzielen damit zusammenhängende positive Effekte.

Dabei ist es jedoch notwendig, den Einwohnern einer Stadt genau zuzuhören, was diese eigentlich wollen. Schließlich sind sie es, die den Logistikern einen Anlass zum Transportieren geben. Für einen integrierten Verkehrsansatz stehen alle Einwohner – und nicht nur die Logistiker – in der Pflicht. Der Güterverkehr, der Individual- und der öffentliche Verkehr brauchen keine separaten Lösungen, sondern eine gemeinsame. Alternative Ansätze für den Personenverkehr sind daher von Logistikkonzepten einer Smart City nicht zu trennen. Und dazu ist es in erster Linie notwendig, dass alle miteinander reden und sich zuhören.

Digitale Technologien und Services schaffen neue Möglichkeiten für Kommunen, Wissen und Wünsche der Bürger in ihre Planungen einzubeziehen. Sie sollten Big Data für sich nutzbar machen, digitale Beteiligungsmöglichkeiten fallorientiert einsetzen, bestehende Bürgerinitiativen einbinden, neue Anreizformate schaffen und den interkommunalen Austausch stärken.

Paradigmenwechsel: Integrieren statt verdrängen

Urbane Produktion und Logistik bilden eine nicht wegzudenkende Lebensgrundlage für die Bevölkerung in Ballungsräumen und müssen daher Bestandteil jedes Smart-City-Konzepts sein. Anstelle monofunktionaler Betriebs- und Wohngebiete müssen neue Mischformen von Arbeiten und Wohnen eine nachhaltige Stadtentwicklung sicherstellen. Rein industriell-gewerbliche Betriebsflächengebiete – die eine Stadt weiterhin benötigt – reichen hier nicht aus.

So wie urbane Produktion einerseits das Ziel hat, Wohnen in geeignete produzierende Gebiete zu integrieren, muss sie andererseits jenen Formen der Produktion einen ungestörten Betrieb ermöglichen, die heute weder wohnverträglich sind noch es in absehbarer Zukunft sein werden. Sowohl rein industriell-gewerbliche als auch durchmischte Gebiete in einer Smart City stehen vor der gleichen Herausforderung: Im Sinne eines breiten und vielfältigen Standortangebots, gut vernetzter Produktionsketten und effizienter Verteilungsstrukturen werden vielfältigere Formen von städtischen Strukturen und Quartieren nicht nur möglich, sondern sinnvoll. //

 

 

Autorenvita Jean Haeffs

 

 

 

 

 

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